Max Lehmann (1845-1929) widersprach mit seiner Bismarck-Vorlesung an der Universität Göttingen seit 1906 der landläufigen Glorifizierung des Reichs- gründers. Er gilt als der bedeutendste und profundeste Kritiker borussischer Geschichts- schreibung. Im Dezember 1906 schrieb er: „Bis jetzt bin ich wegen der in meiner Bismarck-Vorlesung begangenen Ketzereien noch nicht gesteinigt, aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“
Lehmann weist Bismarcks „Blut- und Eisen-Politik“ - von 1862 bis 1871 als demokratiefeindlich, engstirnig preußisch und kriegerisch zurück. Sie führte im Hohenzollernreich zum Triumph des Schwertglaubens über das zivile Denken. Fortan existierte auch die europäische Mächtekonstellation des Wiener Kongresses nicht mehr. An die Stelle des friedens- bewahrenden, übernationalen Deutschen Bundes setzte Bismarck das von Preußen eroberte kleindeutsche Reich als den stärksten Staat Mitteleuropas - eine waffenklirrende Macht, die den Krieg zur „Kulturerrungenschaft“ erklärte. Kenntnisreich, sprachgewandt, scharfsinnig sowie mit glänzend treffenden Formulierungen trägt Lehmann seine klugen und unbestreitbaren Einsichten vor und charakterisiert Bismarck als einen Gewalt- und Machtpolitiker, der weit über seine Kanzlerschaft hinaus gewirkt hat. Nicht nur, aber auch im Jahr der Feiern zum 200. Geburtstag Bismarcks empfehlenswert.
352 S., 1 Abbildung, Hardcover